Regierungspräsident Marcus Caduff zur Raumplanung: «Das Verständnis für das Berggebiet fehlt in Bundesbern»

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Die Raumplanung ist neben dem Arbeitskräftemangel eines der grossen Themen bei den Bündner Unternehmen. Die rechtlichen Bestimmungen beim Bauen werden laufend umfangreicher. Wenn das Gesetz das Bauen zulässt, dann ist der bürokratische Aufwand für die Bewilligungen hoch und nicht selten verzögern Einsprachen die Bauvorhaben massiv. Wir haben mit Regierungspräsident Marcus Caduff über die Herausforderung in der Raumplanung gesprochen.

Bündner Gewerbe: Wo sehen Sie die grössten Probleme in der Raumplanung für den Kanton Graubünden?

Regierungspräsident Marcus Caduff: Ich orte vier Herausforderungen. Erstens gibt es bei den Wohn-, Misch- und Zentrumszonen (WMZ) und bei den Arbeitszonen (Industrie- und Gewerbezonen) zu viel Baulandhortung. Es handelt sich dabei um nicht überbaute Bauzone, die nicht verfügbar ist. Zweitens befindet sich das unbebaute Bauland oft am falschen Ort. Bei diesen zwei genannten Themen sind die Gemeinden gefordert. Das dritte Problem ist, dass gemäss der im Jahr 2013 revidierten Bundesgesetzgebung (RPG1) im gesamten Kanton insgesamt zu viel WMZ vorhanden ist. Die verwendete Berechnungsmethode des Bundes benachteiligt Kantone mit Gebieten, deren Bevölkerungszahl abnimmt. Viertens ist in den betroffenen Gemeinden die Methodik für die Bedarfsberechnung von Bauzonen schwierig mit dem Bundesgesetz in Übereinstimmung zu bringen.

Wie sieht diese Berechnungsmethode aus?

Die Auslastung der WMZ soll grösser werden als 100 Prozent, das heisst dichteres Bauen. Die Auslastungszahl wird mittels Bauzonendaten, Dichtewerten sowie den Bevölkerungsperspektiven des Bundes berechnet. Letztere erscheinen alle fünf Jahre neu. Mit der aktuellsten Bevölkerungsperspektive beträgt der Wert weniger als 95  Prozent. Vor fünf Jahren lag er bei 99,2 Prozent. Dieser Unterschied entstand wegen der neuen Bevölkerungsperspektive, nicht wegen mehr Bauzonen. Weiter hat die Coronapandemie kurzfristige Veränderungen im Wohnverhalten der Bevölkerung ausgelöst. Für solche raschen Veränderungen ist die verwendete Methodik zu träge. Von den gesamtkantonal 5170 ha WMZ sind rund 900 ha unüberbaut.

Wie setzen Sie sich dafür ein, dass das Raumplanungsgesetz, welches die Bedürfnisse der Berggebiete zu wenig berücksichtigt, angepasst wird?

Der Bund wird wohl Anpassungen erst dann vornehmen, wenn alle Kantone gemäss den bisherigen Vorgaben ihre Hausaufgaben gemacht haben. Das wird noch andauern. Als Mitglied der Bau-, Planungs- und Umweltschutzdirektoren-Konferenz (BPUK) werde ich Einfluss nehmen, indem wir erstens für die Voraussetzungen des Berggebiets Verständnis schaffen; man kennt die konkreten Verhältnisse nicht und kann deshalb gar nicht einschätzen, was ein Gesetz für das Berggebiet bedeutet. Zweitens sind Lösungsansätze zu entwickeln.

Wird Graubünden seine Hausaufgaben bis zur gesetzten Frist umgesetzt haben?

Bis heute sind vier Ortsplanungen als RPG1-konform genehmigt. Bei weiteren 30 kommunalen Vorlagen erfolgten bereits unterschiedliche Prüfaufgaben durch den Kanton. Auch in Graubünden wird es Gemeinden geben, die RPG1 innerhalb der gesetzten Frist bis 2024 nicht umgesetzt haben. Die Aufgabe ist für die Gemeinden sehr herausfordernd und auch unangenehm. Es ist aber ein Auftrag der Bevölkerung; auch das Bündner Stimmvolk hat RPG1 mit über 60 Prozent angenommen.

Was heisst dies für Bauprojekte im Kanton? Wird es künftig noch schwieriger, solche zu verwirklichen?

Es kommt darauf an, um welche Projekte es sich handelt und wo diese liegen. Die Realisierung von Bauprojekten ist heute aufgrund der verschiedensten rechtlichen Vorgaben sicher anspruchsvoller als früher. Zunehmend verzögern auch Einsprachen und Beschwerden vor allem grössere Projekte oder Planungen.

Wir hören immer wieder den Vorwurf, dass Bauprojekte aufgrund der Planungszonen in den Gemeinden stark verzögert werden. Wie schätzt der Kanton diese Problematik ein?

Wegen der Umsetzung von RPG1 haben viele Gemeinde richtigerweise eine Planungszone (PZ) erlassen. Gemäss kantonalem Recht muss das Departement jeweils die Verlängerung einer PZ durch die Gemeinde genehmigen, wenn sie länger als zwei Jahre dauert. Der Kanton hat die Grundlagen für die Überarbeitung der Ortsplanungen mit Arbeitshilfen und Geld unterstützt. Voraussetzung für Beiträge waren Leistungsvereinbarungen mit Terminen, die kontrolliert wurden. Darüber hinaus hat der Kanton nichts in der Hand, die Gemeinden zu rascherem Handeln zu bewegen. Denn für die Ortsplanung und das Bauen in den Bauzonen sind die Gemeinden vom Gesetz her zuständig. Bei der Vorprüfung und bei der Genehmigung der Ortsplanungsvorlagen hat der Kanton die Geschwindigkeit, mindestens teilweise, wieder in der Hand. Ist der Kanton mit unzureichenden Unterlagen und Begründungen konfrontiert, verlangsamen die erforderlichen Rückfragen den Prozess. Diese Zeitdauer, die beim Kanton anfällt, ist deutlich kürzer als ein Beschwerdeverfahren vor den Gerichten.

Es fehlen Erstwohnungen für Arbeitskräfte. Neben der Wirtschaft selber sind vor allem die Gemeinden gefordert, dass auf freien Parzellen Wohnungen entstehen. Was empfehlen Sie den Gemeinden?

Für die Förderung des Wohnungsbaus allgemein und von günstigem Wohnraum gibt es viele Praxishilfen. Auch im kantonalen Richtplan sind Leitsätze dazu festgelegt, welche von den Gemeinden umgesetzt werden. Mit der Baulandmobilisierung ist ein gutes Instrument für die Gemeinden vorhanden, um Bauland für Wohnbauprojekte verfügbar zu machen. Gemeinsame Lösungen mit allen Beteiligten in einer Gemeinde sind wohl am zielführendsten.

Für das Bauen müssen unzählige Formulare eingereicht werden. Wann kommt das elektronische Baubewilligungsverfahren (eBBV), damit man nicht auf zehn Formularen das Gleiche schreiben muss?

Alles, was mit Baurecht zu tun hat, wurde in demokratischen Prozessen festgelegt. Die Baubehörden von Gemeinden und Kanton sorgen für den Vollzug und die Einhaltung dieser Regeln. Im Vollzug sind wir meines Erachtens eher rasch und schlank unterwegs. An den gesetzlich verankerten Zuständigkeiten und Regeln wird eBBV (geplante Einführung Ende 2023) grundsätzlich nichts ändern. Die Formulare werden analysiert, wo möglich abgespeckt und optimiert. Schlussendlich entscheiden aber die Gemeinden, wie sie die Verfahren gestalten und ob sie neue Formulare und das eBBV einsetzen.

Was bereitet Ihnen für die Zukunft am meisten Sorgen in der Raumplanung?

Aktuell bereitet mir die erneute Revision des Raumplanungsgesetzes in Bern (RPG2) gewisse Sorgen. Diese betrifft das Bauen ausserhalb der Bauzone und dient als Gegenvorschlag zur Landschaftsinitiative. Das Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen der Vorlage ist für Graubünden sehr unausgewogen. Daneben sind es die Zentralisierungstendenzen, die Qualität der Bauprojekte, gewisse Einwicklungen in der Rechtsprechung sowie die zunehmende Beschwerdefreudigkeit von Privaten und Organisationen, die die Projektentwicklung, das Planen und das Bauen erschweren.

Über Marcus Caduff

Marcus Caduff ist als Regierungsrat Chef des Departaments für Volkswirtschaft und Soziales, wo auch das Amt für Raumplanung des Kantons Graubünden angesiedelt ist. Im Jahr 2022 ist er Regierungspräsident.

 

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