Nationale Wahlen: Drei Bündner Vertreter mit Einfluss in Bundesbern

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Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher (SVP) und die beiden Ständeräte Stefan Engler (Die Mitte) und Martin Schmid (FDP) gehören in Bundesbern der Kommissionen für Wirtschaft und Abgaben (WAK) an, die Wirtschaftspolitik macht. Im grossen Interview zu den nationalen Wahlen haben die drei Bündner Vertreter über den politischen Betrieb in Bern, verschiedene Wirtschaftsthemen sowie die Wahlen gesprochen.

Am 22. Oktober 2023 stellen sich die drei einflussreichen Bündner Vertreter in der Wirtschaftspolitik in ihren jeweiligen Parteien zur Wiederwahl. Das «Bündner Gewerbe» hat sich mit ihnen in der Geschirrkammer des Hotels «Stern» in Chur an einen Tisch gesetzt. Dass die drei Personen in Bundesbern gemeinsam zusammenarbeiten und sich für die Bündner Wirtschaft einsetzen, sieht man von Anfang an. Die Diskussion nimmt Fahrt auf, bevor die erste Frage gestellt wird.

Frau Martullo-Blocher, was waren in dieser Legislatur die grössten Herausforderungen in der Wirtschaftspolitik?
Martullo-Blocher: Die Covid-Pandemie, ganz klar. Damit hatte bei der letzten Wahl niemand gerechnet. Es ging dabei nicht allein um die Gesundheit, sondern auch die Wirtschaftspolitik war stark gefordert. Die Arbeit in Bern war für mich sehr intensiv, auch während dem ersten Lockdown. Ich habe mich bei den Bundesräten stark eingebracht, weil ich die Wirtschaftsstrukturen, die Verbände und die Unternehmen aus dem Alltag kenne. Das war wichtig, denn wir hatten keine Zeit. Durch den Lockdown hatten viele Betriebe ein echtes Liquiditätsproblem. Zum Glück hat Ueli Maurer sofort das Kreditprogramm eingeleitet. Dazu kamen weitere Themen wie Kurzarbeit, Schutzkonzepte, Masken, Ersatzzahlungen, Tourismusgebiete. Auch hier kannte ich mich aus, weil wir bei der Ems-Chemie früher einmal Kurzarbeit einführen mussten. Die Schutzkonzepte haben wir von den Mitarbeitenden in China für alle Branchen gesammelt und in der Schweiz eingebracht. Praktiker sind besonders gut in Krisensituationen. Als die Pandemie vorbei war, dachte ich, jetzt ist alles ruhiger. Dann kam aber der Ukraine-Krieg mit der unsicheren Stromversorgung. Aktuell sehe ich auch den Rahmenvertrag mit der EU als grösste Herausforderung. Es soll ein Wirtschaftsabkommen sein, aber die WAK hat hier viel zu wenig zu sagen. Die aussenpolitische Kommission drängt sich immer vor. In der WAK sind wir nicht überzeugt.

Herr Schmid, welche Themen in Bundesbern sind für die Wirtschaft in Graubünden relevant?
Schmid: Aus meiner Erfahrung dreht sich alles immer mehr um Detailregulierungen. Diese dauernd abzuwehren ist Knochenarbeit. Wir müssen verhindern, dass sich die Rahmenbedingungen in einem touristischen und gewerblichen Kanton wie Graubünden weiter verschlechtern. Beispielsweise in der Raumplanung und Bauwirtschaft. Wir mussten während der Corona-Pandemie kämpfen, dass die Baustellen nicht geschlossen werden mussten. Selten können wir einmal eine Regulierung abschaffen, wie jetzt bei den Grenzgängern. In der Politik hüpften wir in der letzten Legislatur von einer Krise zur anderen, anstatt vorauszuschauen. Es braucht mehr Stabilität anstatt Aktivismus im politischen Betrieb. Die Regulierungen und dauernden Änderungen sind vielfach gut gemeint, bringen aber unglaublich viel Bürokratie und Unsicherheit mit sich. Für Unternehmen ist das eine Belastung, die laufend zunimmt. Am Schluss wäre eine funktionierende Raumplanung und Beständigkeit in der Rechtsordnung für die Wirtschaftsentwicklung wichtiger, als wenn wir noch einen Prozentpunkt Unternehmenssteuer weniger haben. Wir sind bei den zentralisierten Regulierungen an einem Punkt angelangt, wo es für KMU wirklich kritisch wird.

Herr Engler, wie beurteilen Sie diese Regulierungsflut im Zusammenhang mit der Wirtschaftspolitik?
Engler: Wirtschaftspolitik ist immer auch Standortpolitik. Wirtschaftspolitik ist eine Querschnittsaufgabe, die Steuerpolitik etwa ist nur ein Aspekt davon. Rahmenbedingungen bedingen Regulierungen. Qualität vor Quantität müsste auch für die Gesetzgebung gelten. Alles unter einen Hut zu bringen ist die Herausforderung. Graubünden hat andere Voraussetzungen als Zürich, Solothurn oder Waadt. An gesamtnationalen Interessen kommen auch wir Bündner nicht vorbei. So ist es an uns, unsere Landwirtschaft zu schützen, damit die, die die steilen Hänge mähen, auch eine Existenzgrundlage haben. Auch der Tourismus ist auf ein günstiges politisches Umfeld angewiesen genau gleich wie das Handwerk. Für die global tätigen Unternehmen ist es wichtig, international wettbewerbsfähig zu bleiben. Fragt man nach, welche Regulierungen überflüssig sind, sind es meistens die, von denen man selber nicht profitiert. Die zwei jüngsten Beispiele, die illustrieren, dass es nicht zwingend gut kommt, wenn man den Markt einfach machen lässt, sind die Rettung der Credit Suisse und der Rettungsschirm für die Energiekonzerne. Politik verlangt, Interessen abzuwägen, dass wirtschaftliche Interessen zunehmen und es schwieriger haben sich durchzusetzen, will ich nicht bestreiten.

Warum nehmen die Regulierungen zu?
Martullo-Blocher: Die meisten Regulierungen übernehmen wir über Staatsverträge und in den Detailverordnungen. Die Vorstossflut im Parlament trägt dazu bei. Ich habe seit ich in Bern bin, erst einen Vorstoss eingereicht: «One in, two out». Für jede Regulierung müssen zwei Regulierungen abgeschafft werden. Im Ausland gibt es das schon. Nur die SVP war bei uns dafür. Von der EU kommt immer mehr Grosses auf uns zu: Das Datenschutzgesetz, die Grenz-CO2-Besteuerung, etc. Dagegen kämpfe ich. Wir brauchen für uns schlauere Lösungen. Mit Regulierungen lösen wir keine Probleme. In der Wirtschaftskommission des Nationalrats stellt neben der SVP nur die GLP mit einem Elektroplaner Unternehmer. Alle anderen Vertreter sind Juristen, Staatswissenschaftler oder solche, die noch gar nie in der Privatwirtschaft gearbeitet haben. Die Grünen und Linken wollen sowieso eine Planwirtschaft, wo alles vom Staat gesteuert wird. Das macht die Privatwirtschaft kaputt. Das will die SVP nicht. Dafür setze ich mich ein.

Engler: Das Staatverständnis der Linken, das Magdalena anspricht, ist ein dauernder Kampf, den man im Parlament führt. Es gibt viele Parlamentarier, die nur umverteilen wollen. Auf der anderen Seite sind die, bei denen das Wirtschaften im Vordergrund steht. Wir müssen aber als Gesetzesgeber auch selbstkritisch sein. Wenn wir uns beklagen, dass die Verwaltung überhandnimmt, ist dies auch, weil wir schlechte Gesetze machen. Wir lassen viele Detailbestimmungen in den Verordnungen regulieren, verwenden unbestimmte Rechtsbegriffe. Dies öffnet der Verwaltung Tür und Tor. Darum müssen wir strenger darauf achten, dass das, was wir wollen, auch im Gesetz steht.

Martullo-Blocher: Ja, das stimmt. In der Energiepolitik machen wir aktuell nur unüberlegte Schnellschüsse, dringliche Bundesbeschlüsse mit Ausnahmeregelungen und keine Vernehmlassungen mehr. Auch Kostenschätzungen machen wir keine mehr. Niemand weiss, wieviel die Subventionen für Solar- und Windenergie kosten. Aber wir alle bezahlen sie, über den Netzzuschlag. Das ist verantwortungslos.

Man könnte fast meinen, das Einzige, was nicht reguliert ist, ist die Politik. Bräuchte es nicht weniger Vorstösse und weniger Sessionstage, damit auch wieder Gewerbler und Unternehmer Zeit und Lust für ein Amt in Bern hätten? Viele Wirtschaftsvertreter können sich das heute schlicht nicht mehr leisten.
Schmid: Politiker werden als gut betrachtet, wenn sie viel Vorstösse einreichen. Eigentlich sind aber gute Politiker diejenigen, die wenige aber erfolgreiche Vorstösse machen. Im Moment haben wir völlig falsche Mechanismen. Wenn jemand ausserhalb des Parlaments viele Mandate ausübt, wird das als negativ dargestellt. Aber Sinn und Zweck eines Milizparlaments ist es, gerade im Arbeitsleben ausserhalb des Parlaments aktiv zu sein. Viele Parlamentarier haben den Bezug zu wirtschaftlichen Themen in der Realität nicht mehr, das sind nur Theoretiker. Mir kommt es manchmal wie in einer Bubble vor. Wir haben eine Vorstossflut über Themen, die, wenn ich in Splügen am Stammtisch sitze, niemanden interessiert. Wir in Bern reden stundenlang über Dinge, ohne einen volkswirtschaftlichen Mehrwert oder ein volkswirtschaftliches Problem zu lösen. Da rege ich mich, je länger ich in diesem Betrieb bin, immer mehr auf.

Engler: Wenn das Know-how aus dem Milizparlament nicht einfliesst, stärkt man nur die Verwaltungen. Erfahrungen aus der Arbeitswelt sind wichtig und der Hauptnutzen eines Milizparlaments. Nur so überlässt man nicht alles der Verwaltung, in der selten einer schon einmal in einer Unternehmung gearbeitet hat. Viele kommen aus Universitäten oder Hochschulen und schreiben dann den Unternehmern vor, wie sie sich zu verhalten haben.

Martullo-Blocher: Ich kenne als Unternehmerin die Bedürfnisse der Arbeitnehmer bereits besser als die heutigen Teppich-Etagen-Linken. Als Unternehmerin in einem globalen Unternehmen, die die Wirtschaftsstandorte aus der Praxis vergleichen kann, werde ich respektiert. Ohne Steuern und Arbeitsplätze, gibt es auch keine Umverteilung... Auch in anderen Bereichen fehlen Parlamentarier, die Praxiskenntnisse wie im Asylwesen, im Schulsystem einbringen könnten.

In Graubünden hat man zunehmend das Gefühl, dass in Bern alles entschieden wird und man in den Randregionen kein Gehör mehr findet?
Schmid: Durch die Zentralisierungstendenz wird vieles nach Bern getragen, was früher in den Gemeinden gelöst wurde. Weil man im Bundeshaus «Schachtdeckelprobleme» löst und nicht mehr die grossen Themen diskutiert, gibt es am Ende für alles eine nationale und nicht mehr eine adäquate kommunale Lösung. Diese nationale Zentralisierung verhindert den regionalen Spielraum. Es ist schwierig, solche nationalen Regelungen danach zu ändern. Nehmen wir das Zweitwohnungs- und Raumplanungsgesetz. Früher hatten die Kantone in diesem Bereich einen grossen Spielraum. In Graubünden hatten wir kommunale Zweitwohnungsgesetze. Jetzt haben wir eine nationale Regelung mit den Zweitwohnungen, weil die Volksabstimmung entsprechend ausgefallen ist. Das Problem ist aber nicht gelöst, der Erstwohnungsmangel zeigt es deutlich. Der Zentralismus macht alles viel schwerfälliger, dies sieht man beim neuen Raumplanungsgesetz. Als Anwalt mache ich mir ernsthafte Sorgen, wie wir beispielsweise aufgrund von Bundesvorgaben bei den Ortsplanungen in Graubünden unterwegs sind. Wir haben zudem selbst verschuldet Quartierplanrevisionen, die mehr als acht Jahre dauern. Das kann doch nicht sein.

Sie sprechen den Föderalismus an.
Schmid: Der Föderalismus ist einer der Erfolgsfaktoren der Schweiz. Wir sind daran hier viel zu verspielen. Das hat auch damit zu tun, dass die grosse Bevölkerungsmehrheit im Mittelland in Städten und Agglomerationen lebt. Früher lebte rund ein Drittel der Bevölkerung auf dem Land, heute sind es vielleicht noch ein Viertel. Das färbt sich auf die Politik ab, speziell im Nationalrat. Im Städterat ist es zum Glück noch etwas anders. Die ländliche Schweiz hat heute weniger zu sagen in Bern, als dies früher der Fall war.

Martullo-Blocher: Die Städte werden stärker. Die Städte Zürich und Winterthur entscheiden jede Abstimmung im Kanton Zürich. Die Themen, die wir auf nationaler Ebene diskutieren, sind von den Haltungen der Städter getrieben. Die Solidarität mit den ländlichen Gegenden wird in der Bundespolitik kleiner. Der Stadt-Land-Graben nimmt zu. Raumplanung ist dafür ein Beispiel. Obwohl der Kanton Graubünden viel unbebaute Flächen hat und mit Abwanderung kämpft, muss er eine Raumplanung wie die Stadt Zürich anwenden. Graubünden soll die links-grünen Ideen der Städte in der Energieversorgung und der Biodiversität umsetzen.

Engler: Subsidiarität hat eigentlich Verfassungsrang, aber auch viele Feinde, vor allem in den Verwaltungen. Für sie bedeute Subsidiarität oft ein Schreckgespenst. Weil die Betroffenheit unterschiedlich sein kann, passen Einheitsgrössen selten. Aus der unbegründeten Angst eines Flickenteppichs heraus, wehrt man sich dagegen, die Fäden aus der Hand zu geben. Subsidiarität hat allerdings auch selbstgemacht Feinde in den Kantonen und Gemeinden. Wenn du den Freiraum, den Du hättest, nicht konsequent und selbstbewusst nützt, den sogar noch preisgibst, musst du dich nicht wundern, dass jemand danach greift. Der dritte Grund sind die Volksinitiativen, die die Subsidiarität einschränken. Lesen Sie nur einmal, was alles in unsere Verfassung Eingang gefunden hat. Ich kann die Gemeinden und die Kantone nur ermuntern, ihre Freiräume konsequenter einzufordern. Graubünden hat das in der Covid-Krise bewiesen.

Martullo-Blocher: Das sehe ich nicht ganz so, wir hätten auch in Graubünden noch ungenutzte Spielräume. Ausserdem müsste Graubünden viel stärker intervenieren und in der kantonalen Umsetzung Ausnahmen als flächenmässig grösster Bergkanton fordern. Der Kanton Wallis macht das dauernd. Wir haben in den Tälern Abwanderungsgefahr und der Fachkräftemangel ist bei uns viel früher eingetreten. Wir sind ein Energie- und Verkehrskanton. Wir könnten viele Ausnahmeregelungen erwirken, wenn es die Bündner Regierung auch wollte. Ich könnte das in Bern erreichen, aber leider hat unsere Mitte-Regierung nicht den Mut. So war es leider auch bei den offenen Terrassen bei Corona, wo Graubünden als erster Kanton wieder geschlossen hat. Die Bündner Regierung müsste viel mehr Mut haben und sich für die Interessen des Kantons wehren.

Schmid: Es gibt auch die politische Realität. Weil wir als Bündner die Mehrheit in Bern nicht haben, kann die Regierung dort nicht viel erreichen. Ich würde mir aber wünschen, dass gewisse Spielräume im Kanton besser genutzt werden. Ein Beispiel ist die Auslegung des Zweitwohnungsgesetzes. Der Leitfaden des Kantons braucht es nicht, hier schränkt sich Graubünden selbst zu fest ein. In Bern müssen wir uns selbst an der Nase nehmen, was wir nicht fertigbringen. Wir müssen besser Allianzen bilden und Themen aufnehmen, die vom Gewerbe kommen. Die Stärke Graubündens ist es, dass man zueinander einen Draht hat, man sich kennt. Hier könnte man noch enger zusammenarbeiten, um mehr für Graubünden herauszuholen.

Die Energie wurde mehrfach angesprochen. Was braucht es künftig für eine sichere Energieversorgung in Graubünden?
Schmid: Aus der Tradition heraus ist Graubünden ein exzellenter Energiekanton. Neben dem Tourismus war die Wasserkraft für die wirtschaftliche Entwicklung des Kantons immer von grosser Bedeutung. Die Energieproduktion hat Wohlstand in die Talschaften gebracht. Nicht nur der Wasserzins, auch viele Jobs wurden damit geschaffen. Mit Chlus, Lago Bianco und der Überleitung Lugnez sowie den Aufstockungen der Staumauern und neue Zuflüsse gibt es noch ein paar Projekte mit Potenzial. Dafür haben wir drei uns in Bern auch eingesetzt und schlussendlich durchgesetzt, auch wenn wir dafür medial kritisiert wurden. Es wird auch einige hochalpine Solaranlagen im Kanton geben. Graubünden ist prädestiniert für Sonne und Wasser. Das Windpotenzial ist dagegen eher gering. In der Praxis funktioniert Windkraft in den Alpen nur beschränkt. Es wird trotzdem einige wenige Projekte geben, Graubünden ist aber kein Windland. Die Erschliessung ist nicht vorhanden und betriebswirtschaftlich lohnt es sich meist nicht.

Engler: Da unser Hauptproblem die Energiespeicherung und der Winterstrom ist, sehe ich zusätzlich bei der Erhöhung bestehender Staumauern Speicherpotenzial. Alle Projekte, die gegenwärtig aus dem Boden schiessen, müssen sich auf Dauer auch betriebswirtschaftlich lohnen. Wogegen ich mich nach Kräften wehre, ist, dass mit dem Vorwand von Beschleunigung und Vereinfachung die demokratischen Entscheidungsrechte der Gemeinden beschnitten werden.

Martullo-Blocher: Wasser hat das grösste Potenzial für Winterstrom, vor allem als Speicher. Wir konnten das «Chlus»-Projekt nun auch noch einbringen beim Bund. Grosssolarkraftwerke sollen demokratisch abgestützt sein. Bei der Windkraft sind den Gemeinden und der Bevölkerung die Mitbestimmung bereits entzogen worden. Sie können sich nur noch äussern. Als nationale Interessensprojekte können sie bis zur Enteignung durchgesetzt werden. Gegen den Zubau der Tourismusgebiete mit Windkraft wehre ich mich. Unser Bundesrat Albert Rösti ist nun an einer realistischen Überarbeitung der Energiesituation. Er wird Varianten vorlegen, über die man dann diskutieren wird.

Wie wird die Energieproduktion in der Schweiz künftig sichergestellt?
Schmid: Es wird eine Verlagerung im Energiebereich zu deutlich mehr Elektrizität geben. Die bestehenden Atomkraftwerke werden länger am Netz bleiben als vorgesehen. In der Zwischenzeit wird man erneuerbare Energien zubauen, vor allem mehr Solarstrom. Die Preise im Sommer und Winter werden sich dadurch deutlich unterscheiden. Die Energiepreise werden allgemein volatiler sein. Es wird sich zeigen, wer das alles bezahlen wird. Für das Gewerbe und die Wirtschaft ist dies wichtig. Die Schweiz ist traditionell mit einem Technologiemix gut gefahren. Gas wird auch künftig eine Rolle spielen. Genauso erneuerbare Gase, denn aktuell ist Gas neben Wasserkraft aus Staumauern die beste Möglichkeit, die Produktionsschwankungen der Erneuerbaren auszugleichen. Wir sind zwar unterwegs beim Umbau unserer Energiesystems. Der Weg ist aber lang, länger als viele denken, glaube ich.

Wechseln wir das Thema und sprechen über den Arbeitskräftemangel. Aktuell lohnt es sich wegen der steuerlichen Belastung nicht, nach dem Pensionsalter weiterzuarbeiten. Auch arbeiten immer mehr Leute aus steuerlichen Gründen nur Teilzeit, weil die Progression ein Fehlanreiz für ein Vollpensum darstellt. Müssten die Kantone nicht die Möglichkeit erhalten, diese steuerlichen Fehlanreize zu minimieren?
Engler: Da kann eigentlich niemand dagegen sein. Arbeiten muss attraktiv bleiben und sich lohnen. Steuerliche Anreize sind ein Teil, der das Arbeiten attraktiver macht. Kindertagesstätten, familienverträgliche Arbeitszeiten und Korrekturen an einem überholten Arbeitsrecht mit Arbeitszeiten, die an die Bedürfnisse auch der Arbeitnehmenden zielen, sind weitere.

Schmid: Der erste und einfach zu ändernde Punkt wäre, dass die, die nach der Pensionierung weiterhin arbeiten, auf den Lohn keine AHV mehr bezahlen müssen. Das ist eine versteckte Steuer. Leider hat man dafür in Bern bisher keine Mehrheiten gefunden. Man sah die Finanzierung der AHV gefährdet. Die Situation hat sich nun aber etwas gedreht. Vielleicht gibt es hier künftig eine Mehrheit, um diesen falschen Anreiz aus der Welt zu schaffen. Es ist aber nicht nur ein Problem der Steuerabzüge, sondern der starken Progression bei den Steuertarifen. Man müsste dafür die Tarifkurven bei den Steuern abflachen, dann gäbe es diese falschen Anreize nicht mehr. Das ist heute ein enormes Hemmnis.

Eine weitere Thematik: Wir werden künftig vermehrt auf eine Zuwanderung aus Drittstaaten angewiesen sein, weil die demografische Entwicklung überall in Europa die gleiche ist. Von ausserhalb der EU ist es fast unmöglich, jemand anzustellen, ausser es handelt sich um einen Spezialisten. Die Hürden bei den Drittstaatenkontingenten sind hoch. Was sage Sie dazu?
Martullo-Blocher: Das ist tatsächlich ein Problem. Aus der EU kann jeder in der Schweiz kommen. Aus Drittstaaten ist die Zuwanderung von Arbeitskräften kontingentiert und aufwändig. Man muss aber sagen, dass die Kantone die Bewilligung von mangelnden Spezialisten aus Drittstaaten immer erteilen. In Graubünden ist nicht die Zuwanderung als Ganzes ein Problem. In Graubünden haben wir eine konstante bis abnehmende Bevölkerung. Wir müssen schauen, dass wir weniger Abwanderung haben. Probleme mit Zuwanderung haben vor allem die Städte. In Graubünden müssen wir schauen, dass wir die richtigen Leute bekommen und sie integrieren.

Engler: Wir könne es uns nicht leisten, die arbeitswilligen Migranten auszuschliessen. Kein Altersheim, kein Spital kommt ohne Zuwanderer aus. Man sollte jetzt Ausländer- und Asylpolitik aber auch nicht vermischen. Niemand will nicht-integrationswillige Migranten bei uns behalten.

Schmid: Die Zuwanderung von nicht anerkannten Flüchtlingen macht mir am meisten Sorgen. Der Bund, welcher für die Ausschaffungen zuständige wäre, macht hier viel zu wenig. Bei den Drittstaatenkontingenten sehe ich aktuell keine Probleme. Spezialisten erhalten immer eine Bewilligung.

Sprechen wir zum Schluss über Ihre Motivation, sich am 22. Oktober der Wiederwahl zu stellen.
Schmid: Man muss auch einmal sagen, dass es eine sehr interessante Aufgabe ist, im Ständerat aktiv politisieren zu dürfen und dort Politik zu gestalten. Gerade die letzten Jahre waren auch aufgrund der zahlreichen Krisen sehr anspruchsvoll, aber auch interessant, als Parlament waren wir überall sehr nahe und schnell dabei. Wenn man Politik gerne macht, dann ist es eine sehr interessante Aufgabe. Aber auch die ist irgendwann endlich, aber ich bin ja noch jung. In jedem Fall würde ich mich aber zuerst auf die nächsten vier Jahre in Bern freuen, die hoffentlich noch kommen.

Engler: Bei mir ist es auch der Gestaltungswille. Gerade die vielfältigen Krisensituationen in der vergangenen Legislatur haben gezeigt, dass es sich lohnt, für stabile staatliche Institutionen, Demokratie, Rechtsstaat und Föderalismus zu engagieren. Aus den dabei gemachten Erfahrungen lassen sich viele Lehren ziehen, wenn man das will.

Martullo-Blocher: Ich gehe nur nach Bern, solange es mich braucht. Der Ratsbetrieb, vor allem im links-grünen Nationalrat bereitet mir selten Freude. Das «Geschnorr» der Räte ohne Erfahrung ist zu gross. Den meisten ist es sogar egal, wie es der Schweiz als Land ergeht. Sie denken nur an ihre eigene Profilierung. Leider gehen die Mitte und FDP zu häufig mit Links-Grün mit. Sie denken, bei den Wahlen so erfolgreicher zu sein. Ich bin die einzige internationale und grosse Unternehmerin in Bern. Unsere Partei hat am meisten Gewerblerinnen und Gewerbler. Wir politisieren aus der Praxis. Deshalb kandidiere ich noch einmal und setze mich weiterhin für Graubünden ein. Was mir immer wieder Kraft gibt, ist der Kontakt mit den Bündnerinnen und Bündnern. Ihnen soll es gut gehen. Sie sollen ihr Leben frei gestalten können.

 

 

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