Mario Cavigelli und Christian Rathgeb haben sich für Graubünden ins Zeug gelegt

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Das «Bündner Gewerbe» hat die frischgebackenen Altregierungsräte Mario Cavigelli und Christian Rathgeb Anfang Jahr für ein Interview im Hotel Stern in Chur getroffen. Beide haben sich in den letzten 12 bzw. 11 Jahren für Graubünden eingesetzt, beispielsweise in der Coronapandemie, für gesunde Staatsfinanzen, für eine zweckdienliche Bautätigkeit und bei der Wasserkraft. Der BGV und die beiden Regierungsräte waren nicht immer einer Meinung. Viele gute Lösungen wie beispielsweise das Energiegesetz und die Steuergesetzrevisionen sind aber auch dank der Zusammenarbeit zwischen den Wirtschaftsverbänden und der Regierung zustande gekommen.


Bl, sg. Auf die erste Frage, wie sie die ersten Wochen im neuen Jahr nach der Übergabe des Amtes als Regierungsräte erlebt haben, lachen beide und erzählen, dass sie Anfang Jahr praktische keine Kontakte mehr auf dem Handy hatten und nicht wussten, wer sie anrief. Beide nahmen es mit Humor und inzwischen ist der Datenverlust behoben. Beide Anwälte mit einem Doktortitel arbeiten nun wieder als selbstständige Rechtsanwälte und Berater. Sie können wieder über ihre Zeit bestimmen und haben mehr Freizeit. Morgens in Ruhe die Zeitung lesen zu können, schätze er sehr, sagt Cavigelli. Rathgeb freut sich, dass er wieder mehr Zeit für Sport mit seiner Frau habe und staatspolitische Themen als Lehrbeauftragter an der Universität Zürich vertiefen könne. Dafür vermissen beide ihre Mitarbeitenden – sowohl den Stab und die kompetenten Fachpersonen, die sie in ihrem Departement als Regierungsräte enorm unterstützt hätten. Man merkt es im Gespräch – da verliess ein eingespieltes Team die Bündner Regierung. Bei vielen Antworten waren sie sich einig. Zur Frage «Lieber Bär oder Wolf?» antworteten beide unisono: «Keines von beiden».

Bündner Gewerbe: Herr Cavigelli, welche Erfahrungen aus der Amtszeit nehmen Sie für die Zukunft mit?

Mario Cavigelli: Ich habe gelernt, in kurzer Zeit bei komplexen Themen den Überblick zu behalten und mich fachlich zu vertiefen. Als Regierungsrat geht es immer auch darum, die Bedürfnisse der verschiedenen Stakeholder frühzeitig zu erkennen und diese zu verstehen. Diese Arbeit war sehr spannend. Bei meiner künftigen Beratungstätigkeit auf strategischer Ebene in Wirtschaft und Gewerbe möchte ich mich in meinen bisherigen Themen weiter vertiefen, insbesondere in den Bereichen Energie, Bau, Infrastrukturanlagen und Verkehr in Tourismus und Alltag.

Herr Rathgeb, Sie kandidieren für den Nationalrat. Was möchten Sie in Bern für Graubünden herausholen?

Christian Rathgeb: Ich habe mich seit meiner Jugend politisch engagiert. Sicherlich habe ich heute mehr Erfahrung auf dem politischen Parkett und ein viel grösseres Netzwerk. Wenn ich gewählt werde, werde ich mich unter anderem dafür einsetzen, dass wir in Graubünden bessere Rahmenbedingungen für Unternehmen erhalten. Die Eigenverantwortung der Unternehmen soll wieder gestärkt und weniger reglementiert werden. Die Bürokratie hemmt Innovation. Weiter ist mir auch der Föderalismus sehr wichtig. Die Einschränkungen vom Bund haben in den letzten Jahren stark zugenommen. Wir müssen mit den verbündeten Bergkantonen noch stärker zusammenarbeiten, damit die Bedürfnisse der Bergkantone ernster genommen werden.

Als Regierungsrat ist man sich gewohnt, dass viel verlangt wird. Wann sind Sie an Ihre Grenzen gekommen?

Cavigelli: Beim Thema Wolf wusste ich teilweise nicht mehr wie weiter. Es ist ein sehr emotionales Thema und letztlich als Regierungsrat rechtsstaatlich nicht anders lösbar, als die Gesetze des Bundes umzusetzen und den schmalen Pfad, wo ein bisschen Ermessen möglich ist, zu nutzen. Denn es ist Bundesbern, das entscheidet. Die Betroffenheit und Verzweiflung von direkt Betroffenen ging mir sehr nahe. Weiter hat die Aufarbeitung des Baukartells während fast neun Jahren neben dem Tagesgeschäft einen zeitweisen enormen Aufwand im Departement benötigt. Dafür haben wir das Thema letztlich sauber und abschliessend aufgearbeitet.
Rathgeb: Als der Bund im Jahr 2017 bei den Mindestfallzahlen für Spitäler strengere Regeln einführen wollte, hätte ich, wenn nötig, eine Demonstration auf dem Bundesplatz organisiert, wenn der Bund nicht davon abgesehen hätte. Zum Glück hat der Bund dann eingelenkt. Auch die Coronapandemie war für mich sehr zeitintensiv, zumal ich als Regierungspräsident und gleichzeitig Präsident der Konferenz der Kantonsregierungen teilweise mehrmals pro Woche in Bern sein musste. Dank dem ausserordentlichen Einsatz meiner Mitarbeitenden konnten wir diese Situation meistern.

Wie kann sich Graubünden in Bern mehr Gehör verschaffen?

Cavigelli: Wir müssen mit unseren Verbündeten zusammenarbeiten, um in Bundesbern unsere Interessen als Kanton einzubringen. Die Regierungskonferenz der Gebirgskantone bringt beispielsweise einen grossen Mehrwert – bei den Wasserzinsen und der Wasserkraft im Allgemeinen hat man dies deutlich gesehen. Man muss aber politisch klug vorgehen und sich einig sein. Dafür müssen wir auch bereit sein, Kompromisse einzugehen. Weiter ist das Netzwerk als Regierungsrat sowie das interkantonale Engagement der Amtsleitenden von zentraler Bedeutung.
Rathgeb: Genau, Graubünden hat in Bern nur eine Chance, wenn wir gemeinsam am gleichen Strick ziehen. Dies hat auch die Coronapandemie gezeigt. Klare Strukturen, der Austausch innerhalb der Regierung und der Verwaltung sowie mit den Wirtschaftsverbänden waren dazumal sehr eng. Dank der engen Zusammenarbeit sind wir in Graubünden vergleichsweise gut durch die Krise gekommen und konnten in Bern Einfluss nehmen.

Wie haben Sie sonst die Zusammenarbeit mit dem Gewerbeverband erlebt?
Rathgeb: In Graubünden haben wir einen sehr guten Austausch und eine hohe Vertrauensbasis mit dem Gewerbeverband und den anderen Wirtschaftsverbänden. Wir haben intensive Diskussionen, die uns voranbringen und wir finden meistens mehrheitsfähige Lösungen. Auch dank der Zusammenarbeit konnte ich in den letzten vier Jahren drei Steuergesetzrevisionen durchbringen. Den guten Austausch müssen wir pflegen und weiter ausbauen.
Cavigelli: Im Infrastrukturbereich kämpfen wir zusammen mit der Wirtschaft beispielsweise für bessere ÖV-Anbindungen, Strassen und eine sichere und bezahlbare Energieversorgung. Es hat mich jeweils gefreut, dass die Wirtschaftsverbände langfristig mitdenken, beispielsweise bei der Wasserkraftstrategie oder den jeweils auf vier Jahre ausgelegten Programmen für den Strassenbau. Auch beim Campus der FHGR denken die Wirtschaftsverbände im Interesse der Bildung für junge Menschen und der Ausbildung von Fachkräften langfristig und sprechen sich für ein Ja zum Fachhochschulcampus aus. Bei der Früherkennung von Themen, die auf uns zukommen, gilt es aber ganz allgemein, weiterhin sehr aufmerksam zu bleiben.

Wie kann Graubünden als Arbeitsort attraktiver werden?

Rathgeb: Die Gesamtbetrachtung muss stimmen: Verkehr, Infrastruktur, Wohnraum, Lohn, Schulen, Kinderbetreuung. Wir können nicht überall die Nummer eins sein, aber gesamthaft müssen wir attraktiv sein. Wir müssen auch weiterhin neue innovative Unternehmen anziehen. Die Leute bleiben nicht ewig am gleichen Arbeitsplatz, sie möchten den Arbeitsplatz wechseln. Im Hinblick auf den Arbeitskräftemangel müssen wir uns alle in den nächsten Jahren anstrengen, sonst verlieren wir die Bevölkerung in den Talschaften.
Cavigelli: Wir müssen vorausdenken, wie die Menschen in 20 bis 30 Jahren in Graubünden leben und arbeiten werden. Die Mobilität ist sehr wichtig, diese wird aber in einigen Jahrzehnten anders aussehen und hier muss Graubünden mithalten können. Unsere Landschaften und unsere Natur sind ein Teil unseres Kapitals. Wir können nicht alles verbauen, zum Beispiel mit Infrastrukturen oder für die Energieproduktion. Der Ausbau ist wichtig, die Bewohner der Talschaften sollten selber langfristig aber immer auch etwas davon haben. Auch in Zukunft müssen wir unsere natürlichen Ressourcen daher nachhaltig in Wert setzen.

Vonseiten der Wirtschaft wurde die Regierung immer wieder für zu viel Bürokratie kritisiert. Es ist verständlich, dass sie als Regierungsräte die Verwaltung verteidigen mussten. Aber ehrlich gesagt, gäbe es nicht ein grosses Potenzial für Entlastungen bei den Regulierungen, insbesondere für KMUs?

Rathgeb: 80 Prozent der Vorgaben, die wir hier bei uns umsetzen müssen, kommen vom Bund. Die Bundesverwaltung ist enorm gewachsen. Der Perfektionismus in der Bundesverwaltung hat überhandgenommen – was die Eigenverantwortung zurückdrängt. Das betrifft beispielsweise das Gesundheitswesen, wo gleiche Sachverhalte bis 8-mal von unterschiedlichen Instanzen kontrolliert werden. Es braucht wieder eine Konzentration auf das Wesentliche, sonst ersticken wir im Dschungel der Vorgaben und Regulierungen. Es braucht wieder mehr gesunden Menschenverstand und weniger Reglementitis.

Sind wir vom Bund fremdgesteuert?

Cavigelli: Treiber der Reglementierungen sind heute vielfach auch internationale Rechts- und Handelsnormen. Der wichtigste Rechtsraum, in dem wir uns befinden, ist die EU und dort herrscht eine teils überbordende «Regulierungseuphorie». Hinzu kommt, dass die gesellschaftlich und wirtschaftlich geschaffene Komplexität enorm zugenommen hat, besonders in den technischen Themen, aber auch beispielsweise betreffend Lieferketten von Material und Rohstoffen. Sobald etwas komplexer wird, übergibt man die Verantwortung allzu gerne an eine «höhere» Instanz, anstatt eigenverantwortlich zu handeln. So wandern Kompetenzen von den Kantonen zum Bund und der Bund hat seinerseits internationale Vorgaben zu übernehmen. Die Probleme sollte man an den Wurzeln packen und möglichst wenig nach oben delegieren. Unser Föderalismus ist eigentlich dafür wie gemacht. Wir müssen uns daher auch selber an der Nase nehmen. Unternehmer sollen selber auch in der Politik aktiv werden und Verantwortung übernehmen.
Rathgeb: Ja genau, wir brauchen mehr Leute aus der Wirtschaft in den Parlamenten, um mitzuhelfen, dass die Regulierungsflut eingedämmt wird. Die Verbände machen viel, aber die Unternehmerinnen und Unternehmer müssen sich auch selber in der Politik engagieren. Aktuell zehren wir in der Schweiz vom Erfolg der Vergangenheit und darauf können wir uns nicht mehr lange verlassen.

Und zum Schluss noch Ihr Freizeittipp für Graubünden.

Cavigelli: Die Skigebiete in der Surselva, auf der Lenzerheide und im Engadin – mir gefallen diese besonders gut.
Rathgeb: Der Lago di Poschiavo oder die Medelser Hütte (von Curaglia aus) sind für mich wunderbare Orte, um einmal innezuhalten.

Fotos: Nicola Pitaro Fotografie

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