«Etwas zu bewegen war unsere Motivation »
20.04.2025

Jan Mettler und Urs Schädler sind die zwei Ehrenpräsidenten des Bündner Gewerbeverbandes. Im Jubiläumsjahr blicken wir mit ihnen auf ihre jeweils zwölf Jahre dauernde Amtszeit als BGV-Präsidenten zurück.
Jan Mettler war von 1994 bis 2006 und Urs Schädler von 2006 bis 2018 Präsident des BGV. Sie haben ihn geprägt und weitergebracht. Mit dem «Bündner Gewerbe» haben sie über 125 Jahre BGV, ihre Amtszeit, was sie erlebt haben und sie heute noch bewegt, gesprochen.
Sich politisch für die Anliegen seiner Mitglieder einzusetzen ist seit jeher die Hauptaufgabe des BGV. Was waren während ihrer Amtszeit die wichtigsten politischen Themen, Jan Mettler?
Jan Mettler: Da gab es verschiedene Themen. Die Politik, insbesondere die Regierung, hatte Ideen, die dem Gewerbe nicht immer passten. Dagegen mussten wir ankämpfen, wie dies auch noch heute der Fall ist. Wir haben aber auch gute Ideen unterstützt, wie die Porta Alpina damals – leider ohne Erfolg. Wir hatten den Vorteil, dass es immer Regierungsräte gab, die gewerbefreundlich waren. Ich will keine Namen nennen, es gab sie aber, die Verständnis für unsere Anliegen hatten. Das waren meist Leute, die aus der Privatwirtschaft kamen, die mit dem Gewerbe zu tun hatten und wussten, wo es durchgeht. Ich erinnere mich, dass ich den Regierungsräten nach einem Gespräch bei der Verabschiedung immer gesagt habe, schafft Arbeit und Danke zum Voraus. Ich kann sagen, dass ich von 1994 bis 2006 mit allen Vertretern der Regierung ein gutes Verhältnis hatte – aus welchen Parteien auch immer.
Urs Schädler, wie war das während Ihrer Amtszeit von 2006 bis 2018?
Urs Schädler: Als ich mein Amt angetreten habe, entwickelten wir eine neue Strategie. Ein Ziel war es, mit dem BGV ein politisches Schwergewicht zu werden. Wir hatten auch eine Gewerbegruppe im Grossen Rat. Diese wollten wir nutzen, um die gewerblichen Anliegen herüberzubringen. Ein weiteres Ziel war, dass Jürg Michel das Nationalratsmandat gewinnen konnte, was uns durch den Rücktritt von Duri Bezzola gelungen ist. Leider wurde Jürg nicht wiedergewählt. Dadurch mussten wir uns neu ausrichten. Weiterhin sagten wir, dass wir Kampagnenstärke haben, dass wir eine Kampagne führen und unsere Kampagnen auch durchbringen wollten. Wir wollten heisse Eisen anpacken. Wir wollten mutig sein.
Was für heisse Eisen?
Urs Schädler: Die Tourismusabgabe zum Beispiel, die ich von Jan geerbt hatte. Ich habe das Dossier weitergeführt. Es war aber kein einfaches, denn es ging um eine zusätzliche Steuer. Der BGV hat dem Ansinnen zugestimmt, weil jeder dritte Franken im Kanton aus dem Tourismus kommt. Also wollten wir das fördern, und der Gewerbeverband fasste die Ja-Parole. Bedauerlicherweise hat das nicht zum Erfolg geführt. Ein weiteres Thema waren die beiden Olympia-Kandidaturen, die wir mit grossem Engagement vorangetrieben haben. Leider haben wir beide Abstimmungen verloren, was ich noch heute bedaure. Wichtig war auch die Gebietsreform: «50 Gemeinden sind genug». Wir sind zwar von 208 auf heute 100 Gemeinden gekommen und unserem damaligen Ziel nahegekommen. Die Unterschriftensammlung und die gemeinsamen Bemühungen mit der SP wurden mir aber heftig angekreidet und ich erfuhr gehässige Reaktionen, weil wir mit einem «politischen Gegner» zusammengearbeitet haben. Das hat mich motiviert, den Weg mit einer politisch klaren Haltung weiterzugehen, die grossen Linien zu sehen und mich nicht in Details zu verwuscheln. Der BGV muss vorausdenken, was für den Kanton und die Bündner Wirtschaft in Zukunft wichtig sein wird.
Bis jetzt sprachen Sie nur über politische Geschäfte, die keine politischen Mehrheiten fanden. Haben Sie politische Kämpfe auch gewonnen?
Urs Schädler: Eigentlich alle, bei denen es um bilaterale Verträge mit der EU ging. Obwohl es kein eigentliches Bündner Thema war, hat man im Kanton Graubünden gesehen, dass es notwendig ist. Auch wir in Graubünden sind auf offene und gute Verhältnisse mit der EU angewiesen.
Jan Mettler, waren die Bilateralen auch in ihrer Amtszeit nicht gross bestritten?
Jan Mettler: Ich habe das Amt nach dem EWR-Nein übernommen. Die Bilateralen haben wir als BGV damals zugestimmt, wie auch die anderen Abstimmungen. Aber es ist schon so, dass wir auch Kritiker in unseren Reihen hatten. Das liegt wohl am Bergler-Syndrom, dass wir skeptisch gegenüber äusseren Einflüssen sind. Wenn wir im Ausschuss ein Geschäft einstimmig beschlossen hatten, spürte man an der Präsidentenkonferenz oft Widerstand, geäussert hat sich aber selten jemand. Wir Bündner sind eben auch verhalten.
Urs Schädler: Mir war es wichtig, dass an einer Präsidentenkonferenz oder Kantonalvorstandssitzung die Meinungen kundgetan wurden. Ich hatte lieber den Dialog, als den Monolog. Es ist wichtig, dass die Leute den Mut haben, ihr Anliegen vorzubringen und nicht Angst haben müssen, abgekanzelt zu werden. Das hat im BGV zu meiner Zeit gut funktioniert.
Jan Mettler: Darum haben wir damals die Präsidentenkonferenz gegründet. Vorher gab es eine solche Zusammenkunft der Präsidenten aller Sektionen nicht. Für uns war das wichtig, dass wir gemeinsam eine Haltung diskutieren konnten und dann diese zusammen gegen aussen vertreten konnten.
Urs Schädler: Wenn es intern Widerstand gibt, muss man sich in der Argumentation schärfen. Dass es nicht nur immer stromlinienförmig läuft, das habe ich immer positiv gesehen. Es ist wichtig, dass es Leute gibt, die sagen, was ihnen missfällt und sie nicht einverstanden sind. Der BGV muss Platz für verschiedene Meinungen haben.
Und Kritik von aussen?
Urs Schädler: Wir beide haben ja bei der FDP politisiert, Jan war ja im Grossen Rat. Unser Nachteil war, dass wir als BGV-Präsidenten von der eigenen Partei oft kritisiert wurden. Wenn es Kritiker gab, dann kamen diese meist aus dem FDP-Lager. Aber als Präsident des BGV war ich nicht der FPD verpflichtet, sondern dem Gewerbe, unseren Mitgliedern.
Wie sah es bei den Sektionen aus, waren diese immer mit der Haltung des BGV einverstanden?
Jan Mettler: Speziell war, dass wir im Januar 1998 den 1820 gegründeten Bündner Ärzteverein mit über 400 Mitgliedern in den BGV aufnehmen konnten. Ärzte sind von Berufswegen Zuhörer und müssen die Probleme der Patienten lösen. Sie sind mehrheitlich Kleinunternehmer, heterogene und politisch neutrale Dienstleister. Dass sich die Ärzte für den BGV entschieden hatten, machte mir Freude. Nebenbei möchte ich erwähnen, dass mein Hausarzt Dr. Valentin Audétat Initiant und Förderer der Idee war.
Urs Schädler: Zu meiner Zeit gab es eine Urabstimmung, in der über den Austritt des Bündner Ärztevereins beim BGV befunden wurde. Gewisse Ärzte aus Chur wollten nicht weiter dem BGV angehören und unsere politische Ausrichtung mittragen. Ich warb damals an der Versammlung der Ärzte erfolgreich um den Verbleib im BGV, obwohl ich vor der Abstimmung den Saal verlassen musste. Mittlerweile betreibt der BGV sogar die Geschäftsstelle der Bündner Ärzte. Das ist sehr cool. Ein ähnlich schwieriges Thema waren die Exponenten aus dem Engadin in unseren Gremien. Es gab damals unterschiedliche Haltungen in diversen Fragen und den gegenläufigen Machtanspruch zwischen dem Churer Rheintal und dem Oberengadin. Die Abstimmung zur Zweitwohnungsinitiative hat alles verschärft. Man warf uns vor, dass wir im Abstimmungskampf zu wenig gemacht haben. Mit einem offenen Dialog hat sich das dann gelegt.
Jan Mettler: Auch zu meiner Zeit gab es Spannungen mit den Oberengadinern. Es waren vor allem starke Hoteliers, die politisiert haben und im Grossen Rat sassen. Zwischen ihnen und uns Gewerblern gab es oftmals kleinere Differenzen.
Nicht nur Hoteliers finden man heute im Grossen Rat kaum noch, auch Gewerbler hat es wenige. Das Thema, wie man Unternehmer dazu bewegen kann, sich in der Politik zu engagieren, ist aktueller denn je.
Jan Mettler: Es braucht Mut, sich zu exponieren. Und es braucht das Umfeld, das dabei mitmacht. Ich höre von jungen Unternehmern immer, dass ihnen neben Beruf und Familie die Zeit fehlt. Was soll man dem entgegnen? Bei uns waren das andere Zeiten. Ich habe während meiner Zeit als Geschäftsführer der Baufirma Mettler 38 Ämtli ausgeführt, weil ich nicht Nein sagen konnte. «Geschäftet» habe ich am frühen Morgen bis am Abend. Danach war ich an Sitzungen. So war das damals, es gehörte einfach dazu.
Urs Schädler: (lacht) Wir waren definitiv rücksichtsloser gegenüber unserem familiären Umfeld als das heute die Regel ist. Wir haben es einfach gemacht ohne viel Rücksicht. Wir wollten etwas bewegen, in der Politik und im Verband. Diese Tätigkeiten sind sehr befriedigend. Ich bin im hohen «Transpörtleralter» und sehe selbst, wie schnelllebig das Geschäftsleben heute ist. Man hat weniger Spiel- und Freiraum, um nebenbei Ämter auszuführen und Aufgaben zu übernehmen, als dies früher der Fall war. In der Geschäftswelt geht es heute schon schneller zu und her als früher. Ich habe wie Jan viele Mandate gehabt und das gebraucht. Das hat mich auch weitergebracht.
Jan Mettler, Sie haben als BGV-Präsident einmal eine Sitzung mit allen kantonalen Chefbeamten organisiert. Wie kam es dazu?
Jan Mettler: Zu dem, was wir bisher gesagt haben, kam das Glück, dass Jürg Michel unser Direktor war. Er verstand sich als ehemaliger Departementssekretär mit den Beamten. Das war entscheidend, dass es zu diesem Treffen kam. Wir wollten unsere Themen nicht nur gegenüber der Regierung vorbringen, sondern auch den Chefbeamten des Kantons. Ob wir damit Erfolg hatten, weiss ich nicht. Die Chefbeamten lassen sich von Gewerblern nicht gerne dreinreden. Das ist gegenseitig nicht anders. Auch wir Unternehmer wollten uns vom Kanton nicht dreinreden lassen. Diese Gegenwehr hat uns aber auch stark gemacht.
Urs Schädler: Diese Stärke brauchte es, beim BGV wie bei den Unternehmern, um mit Widerständen umzugehen. Es gab den starken Franken und vorher die Finanzkrise. Das waren für die Wirtschaft schwierige Zeiten. Wir haben versucht, mit Massnahmen aufzuzeigen, wie man ihr entgegentreten kann. Man wusste, wofür der Gewerbeverband steht. Das war wichtig. Nur so waren wir glaubwürdig. Heute ist das genauso. Die Themen sind einfach anders.
Zum Beispiel der Fachkräftemangel …
Jan Mettler: Jetzt muss ich etwas loswerden. Was der BGV in der beruflichen Ausbildung macht, das ist hervorragend. Ich war in unserer Firma immer für die Lehrlingsausbildung zuständig. Man kann nicht genug dafür tun. Das Engagement des BGV in diesem Bereich ist lobenswert. Davon profitieren alle Unternehmen und Branchen.
Urs Schädler: Dem gibt es nichts zu entgegnen. Fiutscher war schon zu meiner Zeit ein Highlight. Mit Jürg Michel und Rico Cioccarelli haben wir damals das Thema Berufsbildung aufgenommen und Fiutscher gegründet. Es war nicht einfach, in Chur eine grosse Berufsmesse durchzuführen. Wir hatten einigen Widerstand aus den Regionen. Viele wollten lieber in den Regionen mehr machen. Die Berufsmesse Fiutscher hat sich längst etabliert und ist eminent wichtig für die Berufsbildung und für den BGV.
Was war der Auslöser, die Berufsausstellung 2011 erstmals zu organisieren?
Urs Schädler: Wir haben bereits damals gesehen, dass eine demografische Veränderung auf uns zukommt. Man hatte auch erkannt, dass die Akademisierung zunimmt, dass Eltern ihre Kinder immer mehr ins Gymnasium als in eine Lehre schicken wollen.
Themawechsel. Wie haben Sie das Verbandsleben in Erinnerung?
Urs Schädler: Sehr, sehr gut. Ich lernte viele engagierte Präsidentinnen und Präsidenten kennen – in allen Regionen. Von Scuol über Ilanz bis Davos gab es die, die den Karren gezogen haben. Der BGV lebte von den regionalen Handels- und Gewerbevereinen.
Jan Mettler: Auch zu meiner Zeit waren die Sektionen aktiv. Wenn jemand keine Zeit hatte, delegierte er einen Stellvertreter oder eine Stellvertreterin. Man kann sagen, dass das, was wir gemacht haben, auf einen guten Boden gefallen ist. Man erkannte, dass wir viel machen, und hat es uns gleichgetan. Es ist heute wesentlich, was von der Geschäftsstelle ausgeht. Man hat und nimmt sich Zeit, bei Anfragen ist man freundlich und verständnisvoll. Das sind Dinge, die der Gewerbler schätzt und ihm wichtig sind. Ich habe immer gesagt, dass der BGV für seine Mitglieder und Sektionen da sein muss.
Urs Schädler: Bundesrat Albert Rösti kommt am 13. Juni zur BGV-Jubiläumsfeier nach Chur. Der CEO der GKB eröffnet die Berufsmesse Fiutscher. Martin Candinas kommt als Nationalratspräsident für ein Interview auf der Geschäftsstelle vorbei. Das ist hammermässig. Lädt der BGV ein, kommen alle. Das liegt am Austausch, am guten Verhältnis. Fragt man eine Sektion für die Organisation der Delegiertenversammlung an, sagen alle zu. Sie fühlen sich geehrt, wenn der BGV zu ihnen kommt.
Was haben Sie aus Ihrer Zeit als Präsident mitgenommen?
Jan Mettler: Es war eine interessante und anspruchsvolle Zeit. Es richtig zu machen, war auch streng. Wenn ich zurückschaue, war es eine interessante und sehr schöne Zeit, aus der viele Freundschaften entstanden sind. Wichtig für mich war auch, dass ich das Amt abgebe, wenn ich noch Freude daran habe. Ich habe Urs darum gesagt, als er als mein Nachfolger gewählt wurde, dass er sein Amt als BGV-Präsident zwölf Jahre ausüben muss – nicht mehr und nicht weniger.
Urs Schädler: Zwölf Jahre waren genau richtig (lacht). Ich war viel unterwegs, habe Leute und fremde Branchen kennengelernt. Da war für mich eine Bereicherung und lehrreich. Was mir am meisten Freude bereitet hat, war die Tatsache, dass ich etwas bewegen konnte. Gleichzeitig fand die ständige Erneuerung des Verbandes statt und hat sich das Erscheinungsbild verändert. Ich glaube, ich darf mit Freude und Stolz zurückschauen.
Jan Mettler: Ich war auch viel unterwegs, oft zusammen mit meinem Direktor und Freund Jürg Michel. Der Übergang von Georg Haag zu mir hat vieles verändert. Zuvor wurde nur der Präsident wahrgenommen. Er hat es sehr gut gemacht, er stand aber wie eine einsame Tanne. Nach ihm ist der BGV erstarkt, weil er sich breiter abgestützt hat. Es war nicht mehr nur der Präsident, sondern eine ganze Mannschaft, die den Karren gezogen hat. Das war mir als BGV-Präsident immer wichtig.
Zum Schluss: Welche Geschichte, die sie als Präsident des BGV erlebt haben, werde sie nie vergessen?
Jan Mettler: Speziell war der Besuch des österreichischen Handelsdelegierten, Konsul Dr. Dix. Im Gespräch über die Erfahrung der Österreicher mit der EU merkte ich, dass sie uns weit voraus waren. So fragte er mich im Gespräch: «No ja, Herr Präsident, Sie sind sicher vollamtlich angestellt?» Auf mein Nein sagte er: «So, so, ihr sparsamen Schweizer. Aber gell, Herr Präsident, vergessen’s nicht zu politisieren, sonst wird mit Ihnen politisiert.»
Urs Schädler: Ich fuhr mit Jürg Michel von der Jubiläumsfeier «100 Jahre Gewerbeverein St. Moritz» aus dem Engadin nach Hause zurück, als im Schneetreiben auf dem Julierpass ein gebrochenes Federbein den Pneu von Jürgs Saab platzen liess. Damals war ein Bär in dieser Gegend unterwegs und wanderte umher. Wir wollten nicht wegen unserer Halbschuhe nicht aus dem Auto steigen, sondern weil wir Angst vor dem Bären hatten. Also haben wir den Notruf informiert und uns abschleppen lassen.