Die Entwicklung des BGV in den Kriegsjahren
27.05.2025

Mit der Aufhebung des Autoverbots und des kantonalen Gesetzes über die Ausübung von Handel und Gewerbe konnte der BGV in den Zwischenkriegsjahren wichtige Volksabstimmungen gewinnen. Die Jahre im Handel, Gewerbe und Tourismus waren während der Dreissigerjahre von zahlreichen Herausforderungen geprägt: schwierige finanzielle Lage, Arbeitslosigkeit und Einschränkung der Wirtschaftsfreiheit durch die «Kriegswirtschaft».
Wichtige Institutionen für die Mitglieder des BGV, wie die eigene Ausgleichskasse oder die Bürgschaftsgenossenschaft für KMU, wurden in der Zeit von 1926 bis 1950 gegründet. In diesem Jahr jährt sich die Aufhebung des Bündner Autoverbots zum 100. Mal. Allerdings: noch am 5. Januar 1925 stimmte die Bevölkerung bereits zum 9. Mal über die Zukunft des Automobilverkehrs auf dem eigenen Strassennetz ab. Wenn auch knapp, erlitt auch diese Abstimmung das gleiche Schicksal wie alle ihre Vorläuferinnen.
Dieses Ereignis war dann auch für den BGV, der sich bis anhin kaum an vorderster Front der Befürworter der Aufhebung hervortat, zu viel. Am 6. Februar 1925 richtete er ein Schreiben an den Kleinen Rat, der heutigen Regierung, in welchem er auf die positiven Ergebnisse der beiden letzten Testjahre hinwies. Das Resultat der Volksabstimmung sollte eine resolute Rückkehr zum starren Autoverbot bringen, welche mit erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen verbunden sei. Exponenten des Verbandes beteiligten sich in der Folge an einer Initiative, die bereits am 1. Mai 1925 mit über 6699 beglaubigten Unterschriften, was über einem Fünftel der damaligen Stimmberechtigten entsprach, eingereicht wurde. Die Volksabstimmung fand am 21. Juni 1925, also gut fünf Monate (!) nach der letzten Abstimmung zur gleichen Frage, statt. Mit einer Mehrheit von 52 Prozent und einer Stimmbeteiligung von 73 Prozent wurde die Initiative angenommen. Der in Graubünden besonders lang dauernde Widerstand gegen das Automobil konnte endlich beseitigt werden – dies auch dank den Bemühungen des noch jungen BGV. Erste Auswirkungen waren eine deutliche Zunahme der Übernachtungszahlen in der Hotellerie. Und als nach jahrelangen Vorarbeiten und Vorstössen im April 1929 auch noch das kantonale Gesetz über die Ausübung von Handel und Gewerbe in der Volksabstimmung angenommen wurde, hatte der BGV wichtige politische Ziele erreicht. Doch lange sollte diese Freude nicht reichen.
Schwierige Dreissigerjahre: Den Unternehmen fehlt das Geld
Die Anfang der Dreissigerjahre ausgebrochene Weltwirtschaftskrise verschonte weder die Schweiz noch Graubünden. Der wie der flott in die Gänge gebrachte Tourismus begann zu stocken, auch Gewerbe und Handel erlitten schwere Verluste. Der Bund musste Hilfsmassnahmen für die Hotellerie gewähren, verlangte bei den Sanierungsmassnahmen allerdings auch eine Beteiligung der Gläubiger, die in erheblichem Mass aus Handel und Gewerbe zusammengesetzt waren. Dass der geplagten Hotellerie geholfen werden sollte, war auch die Meinung des BGV, doch sollten nicht die eigenen Mitglieder dabei zugrunde gerichtet werden. Im Laufe der Jahre konnte dank eines stärkeren Gläubigerschutzes eine Besserung erzielt werden. Doch kaum war ein Loch gestopft, öffnete sich ein nächstes. Die zunehmende Beschäftigungslosigkeit verlangte nach rasch wirkenden Lösungen. Der BGV setzte sich aktiv für Arbeitsbeschaffungsmassnahmen ein und so wurden ab 1931 im Kanton und in den Gemeinden Notstandsarbeiten durchgeführt. Der Ausbau der kantonalen Strassen wurde beschleunigt. Der Bündner Gewerbeverband bemühte sich immer wieder, neben den Tiefbauarbeiten auch den Hochbau durch öffentliche Beiträge anzuregen; denn nur im Letzteren konnten viele Unternehmen hinreichende Beschäftigung finden. 1936 richteten Kanton und Gemeinden erstmals für Umbauten und Renovationen Beiträge aus. Ein Jahr später beteiligte sich der Bund an diesem Programm, musste dieses aber während des Krieges wieder einstellen. Immerhin konnte mit vergleichsweise geringen öffentlichen Beiträgen ein Bauvolumen von etlichen Millionen Franken ausgelöst werden, welches die Arbeitslosigkeit etwas mildern konnte.
Auf und Ab im BGV
Nachdem seit fast 20 Jahren die Diskussionen um die Gründung einer eigenen gewerblichen Kreditgenossenschaft zwar nie verstummt waren, aber auch nie zum Erfolg geführt hatten, konnte unter dem Druck der herrschenden Verhältnisse endlich eine zufriedenstellende Lösung gefunden werden. 1936 beschloss die Delegiertenversammlung in Davos den Beitritt zur Ostschweizerischen Bürgschafts- und Treuhandgenossenschaft für Handwerk und Detailhandel (OBTG) in St. Gallen. Diese auf dem Gebiet des Kreditwesens gegründete Einrichtung verfügte schon über wertvolle Erfahrungen und sollte sich bis in die heutige Zeit bewähren. Noch heute profitieren Bündner KMU von der Nachfolgeorganisation Bürgschaftsgenossenschaft für KMU (BG Ost-Süd). Schon von Anfang an unterstützte die OBTG die Mitglieder des BGV mit der Beschaffung von Betriebsmitteln, bei Sanierungen, in der Betriebsberatung oder der Führung der Buchhaltung. Die Aufgabe des BGV war vor allem die Förderung und eigene Zeichnung von Anteilscheinkapital. 30 Jahre lang konnte der BGV die Lehrlingsprüfungen (die heutigen Qualifikationsverfahren) selbstständig durchführen. Doch 1938 beschloss der Grosse Rat die Aufhebung der elfköpfigen Lehrlings- und der fünfköpfigen Lehrlingsprüfungskommission. An ihre Stelle traten drei autonome Lehrlingskommissionen für die Prüfungskreise Chur und Umgebung, Engadin und Davos unter der Federführung des Kantons. Das Bundesgesetz verlangte neu auch eine Beteiligung der Arbeitnehmerschaft in diesen Kommissionen. Der BGV fand sich nur widerstrebend mit der neuen Ordnung ab und verwies noch lange auf den Kanton St. Gallen, wo die gewerblich-industriellen Prüfungen bis heute vom Kanton an den Kantonalen Gewerbeverband delegiert worden sind.
Wirtschaftliches Überleben
während des Zweiten Weltkriegs Der Kriegsausbruch Anfang September 1939 brachte einschneidende Umstellungen im Wirtschaftsleben. Die kriegswirtschaftlichen Vorschriften häuften sich und verursachten den Unternehmern grosse Mehrarbeit. Doch mit höchster Priorität mussten rasch wirkende Hilfsmassnahmen für Handel und Gewerbe an den Tourismusorten ausgelöst werden. Diese waren infolge des plötzlichen Fernbleibens einheimischer und ausländischer Gäste in eine schwierige finanzielle Lage geraten. Am 12. April 1940 erliess der Bundesrat einen Beschluss über die allgemeine Gewerbehilfe. Danach übernahm der Bund eine Risikogarantie von 80 Prozent bei Bürgschaftskrediten bis zu 6000 Franken, die als Folge der Kriegsverhältnisse gewährt werden mussten. Der Kanton Graubünden übernahm die Garantie für die übrigen 20 Prozent. Am 13. September 1941 folgte ein weiterer Bundesbeschluss in dieser Sache. Für das Autogewerbe und die «Fremdenplätze» wurde die Bürgschaftsgrenze verdoppelt. Elf Tourismusorte in Graubünden fielen in die Kategorie «Fremdenplätze». Graubünden musste von allen Kantonen diese Hilfe am stärksten in Anspruch nehmen. Sie wurde über die Ost- schweizerische Bürgschaftsgenossenschaft (OBTG) abgewickelt, welche für die örtlichen Verhältnisse viel Verständnis aufbrachte. Hier zeigen sich einige Parallelen zu den Covid-Krediten vor fünf Jahren, welche auch über die Bürgschaftsgenossenschaften abgewickelt wurden.
Aufhebung der Kriegswirtschaft
Mit Kriegsende hörte die Gewerbehilfe mit staatlicher Risikogarantie auf. Diese Massnahme hatte sich sehr gut bewährt, die eingetretenen Verluste waren gering. Der kriegswirtschaftliche Apparat wurde stark abgebaut und die gesetzliche Einschränkung der Wirtschaftsfreiheit aufgehoben. Die Bewilligungspflicht zur Eröffnung neuer Betriebe, welche Teil der Kriegswirtschaft war, fiel dahin. Ebenfalls wurde das seit 1933 geltende Warenhaus- und Filialverbot Ende 1945 ebenfalls aufgehoben. Die Folge war ein verschärfter Konkurrenzkampf im Wirtschaftsleben, die Marktwirtschaft kehrte zurück.
Neuorientierung des BGV
Um den Anforderungen der Nachkriegszeit besser genügen zu können, wurde 1947 eine interne Reorganisation im BGV durchgeführt. Es wurden die Gruppen Baugewerbe und Detailhandel gebildet, die je eine autonome Leitung hatten. Ziel war eine rasche Behandlung anstehender Fragen, ohne dass der ganze Verbandsapparat in Bewegung gesetzt werden musste. Der Kantonalvorstand bzw. sein leitender Ausschuss konnte entlastet werden und sich Fragen allgemeiner Tragweite widmen. Nach Annahme der Alters- und Hinterlassenenversicherung durch das Schweizervolk beschloss eine ausserordentliche Delegiertenversammlung im September 1947 in Tiefencastel die Gründung einer zwischenberuflichen Verbandsausgleichskasse in der AHV. In Zusammenarbeit mit dem Bündner Handels- und Industrieverein (heute Handelskammer und Arbeitgeberverband) konnte die Ausgleichskasse Ende 1947 endgültig in Betrieb genommen werden. Zitiert wird das Ergebnis in den Materialien Anfang 1950 wie folgt: «Mit dem Kassenleiter als einzigem Angestellten funktioniert die Kasse billig und reibungslos.»