1900 - 1925: Gründungs- und Anfangsjahre des BGV
18.02.2025

Die Gründung des Bündner Gewerbeverbands verlief im Jahr 1900 nicht ohne Schwierigkeiten. Die Organisation der Gewerbetreibenden war in dieser Zeit auf die einzelnen Ortschaften fokussiert. Rasch konnte sich der damalige Bündnerische Gewerbeverband aber etablieren. Bereits in seiner Anfangsphase setzte er sich für die Anliegen des Gewerbes in der Politik ein und war auch sonst aktiv. So führte er obligatorische Lehrlingsprüfungen ein und organisierte eine dreimonatige Gewerbeausstellung in Chur.
Auf Antrieb des Gewerbevereins Chur, der bereits 1842 existierte, wurde am 16. Dezember 1900 in Chur der Bündner Gewerbeverband (BGV, damals noch Bündnerischer Gewerbeverband) formell gegründet. Protokolle sind allerdings erst seit 1901 vorhanden. Die prioritären Aufgaben bestanden darin, eine möglichst weitgehende Organisation des Gewerbestandes im ganzen Kanton aufzubauen und die berufliche Ausbildung zu stärken. Die Vordenker des neuen Verbandes erkannten die wachsende Bedeutung des eigenen Standes und wollten wie in anderen Kantonen die Kräfte bündeln, um den Einfluss zu erhöhen.
Aufbau der Berufsbildung
Doch lediglich drei Sektionen (Chur, Davos und Arosa) der damals existierenden lokalen Gewerbevereine liessen sich auf die Gründung ein. Beabsichtigt war deshalb, an weiteren grösseren Orten lokale Gewerbevereine zu bilden und zudem in den Tälern Einzelmitglieder zu gewinnen. Anderseits war es ein Gebot der Stunde, die berufliche Ausbildung zu fördern. Denn einen Fachkräftemangel gab es auch damals. Die grosse Bautätigkeit, speziell in den Tourismusorten, erforderte eine grosse Zahl qualifizierter, beruflich geschulter Handwerker, die nicht – oder zumindest nicht in genügen der Zahl – vorhanden waren. Für das Gewerbe war es deshalb von grösster Bedeutung, den eigenen Nachwuchs professioneller auszubilden. Die Zahl der Gewerbeschulen sollte vermehrt, geeignete Lehrpersonen gesucht und Lehrlingsprüfungen durchgeführt werden.
Schwierige Startphase
Der mit viel Enthusiasmus gestartete Kantonalvorstand musste umgehend erkennen, dass ihm der Wind nicht günstig blies. Der BGV war ein völlig neues Konstrukt, das in einer Zeit der Hochkonjunktur entstand, d.h. in einer Zeit, in der es grosse Weitsicht brauchte, um in eine Organisation einzutreten, die nicht einen sofortigen Nutzen für seine Mitglieder aufweisen kann. Der erste aus fünf Mitgliedern bestehende Kantonalvorstand aus Chur warf schon nach einem Jahr das Handtuch. Die Nachfolger machten es nicht besser. Nach etwas mehr als einem Jahr erklärten sie kollektiv die Demission. Angesichts der «gewerblichen Interessen faulheit» wollten sie den Verband auch wie der auflösen. Nach Ansicht des Vorstandes war die kantonale Verbindung der Gewerbe vereine «zehn Jahre zu früh» ins Leben gerufen worden. Die Delegiertenversammlung 1903 konnte indessen mit diesem Antrag nichts anfangen. Sie wählte eine neue Verbandsspitze und beschloss den Beitritt zum damaligen Schweizerischen Gewerbeverein, der noch im gleichen Jahr seine Delegiertenversammlung in Chur abhielt und den neuen BGV-Präsidenten in den Zentralvorstand (heute Gewerbekammer) wählte.
Ein Durchstart mit Folgen
Kaum gewählt, gab sich der neue Kantonalvorstand ein 5 Punkte Programm, welches er auch umzusetzen wusste:
- Schaffung einer honorierten Gewerbesekretärstelle in Verbindung mit der Sektion Chur
- Gesuch an die Regierung zur finanziellen Unterstützung des Kantonalvorstandes
- Obligatorische Lehrlingsprüfungen für alle Lernenden
- Veranstaltung von Vorträgen in den Sektionen während der Winterzeit
- Stellungnahme zum Gesetz über Markt und Hausverkehr
Einzig der zweite Punkt ist aus heutiger Sicht nicht mehr zeitgemäss, ansonsten decken sich diese Punkte mit dem heutigen Zweck des BGV. Noch im Winter 1904 wählte der Kantonalvorstand zusammen mit zwei Vertretern des Gewerbevereins Chur den ersten Gewerbesekretär. Anfangsbesoldung 300 Franken jährlich, zuzüglich Auslagenersatz, wobei das Pflichtenheft stark an das heute geltende erinnerte und alles andere als minim war. Allerdings zeigte sich schnell, dass die nebenamtliche Sekretariatsführung nicht genügen konnte. Bereits 1908 wurde der erste vollamtliche Gewerbesekretär mit einem Anfangslohn von 3000 Franken angestellt. Zur Finanzierung musste der Verband anfänglich auf freiwillige Beiträge der Mitglieder zurückgreifen. Da die gesetzliche Regelung nicht spruchreif war, beschloss die DV 1905 die Durchführung der Lehrlingsprüfungen, die aber nur für die eigenen Mitglieder obligatorisch war. Erst 1919 konnte das seit der Gründung erstrebte Ziel des Obligatoriums erreicht werden. Das Bündner Volk stimmt dem Gesetz über das Lehrlingswesen zu. Neu wurden zudem nach Bedarf Zwischenprüfungen angeordnet, wenn bei den Fortschritten der Lernenden Zweifel angebracht waren.
Steuergesetz und Gewerbeausstellung
In den folgenden Jahren befasste sich der BGV wiederholt mit Streik- und Lohnbewegungen, die sich speziell im Baugewerbe bemerkbar machten. In den Jahren 1910 und 1911 galt das Hauptaugenmerk der Revision des kantonalen Steuergesetzes. Nach dem Beschluss zur Durchführung einer kantonalen Industrie- und Gewerbeausstellung in Chur sollte diese in die Annalen eingehende Veranstaltung die Arbeit des BGV mehr oder weniger bis zum Kriegsbeginn 1914 beherrschen. Die Ausstellung dauerte vom 26. Juli bis 22. Oktober 1913 und wurde zu einem vollen Erfolg. Rund 200 Funktionäre waren an der Organisation beteiligt, die vom Kantonalvorstand geleitet wurde. Sie bedeckte auf der Quader ein Areal von 7642 m². In acht zusammenhängenden Hallen, einem Zeltbau und einem massiv erstellten Gebäude wurde ein überzeugender Einblick in die gesamte bündnerische Wirtschaft in Gewerbe, Industrie, Hotellerie, Land- und Forstwirtschaft, Verkehr, Jagd und Fischerei vermittelt. Gleichzeitig fand auch eine Ausstellung bündnerischer Kunst statt. Die Finanzierung war für damalige Verhältnisse ein Kraftakt und erfolgte über Private, die Garantiescheine zeichnen mussten, die öffentliche Hand und eine Lotterie mit 250 000 verkauften Losen. Als Gewinne winkten Ausstellungsgegenstände. Mit dieser Ausstellung konnte der BGV in der Bündner Bevölkerung ein starkes Zeichen setzen.
Überparteiliche Organisation
In den folgenden Kriegsjahren kam es notgedrungen zu einer Einschränkung der Verbandstätigkeit. Doch untätig blieb man auch in dieser Zeit nicht. 1919 hatte der Grosse Rat die Submissionsverordnung verabschiedet, die sich über Jahrzehnte halten sollte und erstmals das Vorgehen des Kantons bei Ausschreibung und Vergabe von Arbeiten und Lieferungen regelte. Wiederholt war auch die Gründung einer Kreditgenossenschaft ein Thema. Gewerbetreibenden sollte mit diesem Instrument möglichst günstiges Geld beschafft werden. Doch man war sich unter den Mitgliedern nicht einig, sodass die Sache nach verschiedenen Anläufen 1921 definitiv im Sand verlief. Im gleichen Jahr fand zum zweiten Mal die Delegiertenversammlung des sgv in Chur statt und dies nur wenige Wochen nachdem die DV des BGV einen epochalen Entscheid getroffen hatte, der bis in die heutige Zeit Gültigkeit hat. Die Delegierten befassten sich mit der Stellung von wirtschaftlichen Organisationen zu den politischen Parteien und fassten folgenden Beschluss: «Die Bildung eigener wirtschaftlicher Parteien ist abzulehnen, dagegen sollen sich die Angehörigen der verschiedenen wirtschaftlichen Gruppen in ihren politischen Parteien in vermehrter Weise betätigen, um den gerechten, berechtigten und notwendigen Forderungen des Mittelstandes zum Durchbruch zu verhelfen. Die politische Betätigung des Mittelstandes ist nicht nur ein Recht, sondern eine Pflicht.»
Wirtschaftsgeschichte 1900 – 1925
Graubünden stand im Übergang vom 19. ins 20. Jahrhundert im Zeichen eines allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwunges. Hotellerie, Gewerbe und Handel konnten sich stark entwickeln. Eine wirtschaftliche Blütezeit setzte bis zum Ersten Weltkrieg 1914 ein. Der Bau von vielen prominenten Hotels und der Bau der wichtigsten Strecken der RhB geht auf diese Zeit zurück. Während des Ersten Weltkriegs gingen die Gästezahlen im Tourismus stark zurück und erholten sich danach wieder. Bei anderen technischen und wirtschaftlichen Entwicklungen war Graubünden weniger fortschrittlich. In der Zeit von 1900 bis 1925 galt in ganz Graubünden ein Autofahrverbot. Die Industrialisierung setzte im Vergleich zu anderen Regionen spät und spärlich in Graubünden ein. Die alpine Landwirtschaft blieb trotz den Entwicklungen ein zentraler Wirtschaftszweig, war aber durch die geringe Produktivität sowie Abwanderung geprägt.
Die Nutzung von Wasserkraft setzte ein. Die erste Glühlampe mit Strom aus Wasserkraft – die erste in der Schweiz – leuchtet zum ersten Mal 1879 übrigens im Hotel «Kulm» in St. Moritz. Graubündens Wirtschaft war in dieser Zeitspanne geprägt von einem Wechselspiel zwischen traditionellen Strukturen und moderner Entwicklung. Der Tourismus etablierte sich als zentraler Wirtschaftssektor, während die Landwirtschaft und das Gewerbe sich nur langsam modernisierten. Herausforderungen wie der Erste Weltkrieg verlangten Anpassungen und führten zu einem allmählichen Strukturwandel.